Haus aus Wind

2012

Einige inhaltliche Gedanken zu diesem Gruppenprojekt aus meiner Sicht

Das „Haus aus Wind“ sehe ich als treffende Metapher für die heutige Zeit und für die grundsätzliche Befindlichkeit des Menschen, z. B. für die Unbehaustheit des Menschen, für die Unbehaustheit so vieler Menschen. Soviel Unbehaustheit heute, soviel Unbehaustheit in früheren Zeiten. Viele Menschen haben ganz real kein Haus, kein schützendes Dach über dem Kopf. Viele Menschen sind obdachlos, äußerlich, nicht nur in der sogenannten Dritten Welt, sondern zunehmend auch bei uns. Andere finden sich innerlich obdachlos vor. Sie haben ihr inneres Zu-Hause verloren, finden kaum einen Ort, wo sie sich geistig und psychisch, „be-haust“, „beheimatet“ wissen. Viele fühlen sich heute allem Möglichen schutzlos ausgeliefert. Das Geborgenheits-Haus, in-mir-bei-mir-zu-Hause-sein und bei anderen ist ihnen abhanden gekommen. Viele sind dauernd unterwegs, von einer Idee zur anderen, von einer Ideologie zur anderen, von einer Flüchtigkeit zur anderen, von einer Konsumverlockung zur anderen, von einem Handygespräch zum nächsten, von Bildschirm zu Bildschirm hin und her hüpfend… Viele sind auf der Flucht, weil sie vertrieben werden, andere nicht selten auf der Flucht vor sich selber… Wieder andere haben ihre Luxushäuser und fühlen sich trotzdem unbehaust.

Letztlich sind alle gemauerten und noch so geschützten, gesicherten, bedachten Häuser „Häuser aus Wind“. Der Mensch ist letztlich immer unbehaust und ausgesetzt auf dieser Welt. Durch sein Leben, durch sein Lebens-Haus bläst der Wind des Lebens. Zu eng gemauerte Wände reißt er immer wieder ein und nieder, erinnert uns, wie ausgesetzt wir sind im unendlichen Universum, im nicht berechenbaren Wind des Lebens. Es bläst durch alles, ob wir es wollen oder nicht, auch durch das Haus eines wohleingerichteten Lebens, der Wind der Vergänglichkeit, der Sterblichkeit, der Brüchigkeit, des Schicksals, des Ausgeliefertseins größeren Mächten gegenüber, der Wind der Wandlung und immerwährenden Veränderung.

Letztlich sind wir immer unbehaust und obdachlos. Welches Haus gibt wirklich Schutz und Dach und lässt uns darin für lange Zeit oder gar für immer wohnlich leben? All unsere eingerichtete Häus-lichkeit kann plötzlich durchkreuzt und zunichte sein …

Andrerseits kann ein „Haus aus Wind“ auch Metapher sein für so etwas wie Freiheit, Ent-Grenzung, für Loslösung und für Einswerdung mit All und Allem, für Dialog und Austausch. Da sind keine Zumauerungen mehr. Da ist große Durchlässigkeit und Offenheit. Alles wird Tür und Fenster. Das Leben und alles Lebendige geht in diesem Haus ein und aus. Die ganze Welt, ja selbst die Gestirne des Weltalls und der Gedanken können frei und unzensuriert herein und wieder ungehindert hinaus. Immer und überall kann alles Platz nehmen. Der Wind des Lebens, der Atem des Lebens, der Duft des Lebens bläst hindurch und ist durch Einmauerungen nicht mehr kleinhäuslich und kleinkariert einzufangen und zu domestizieren. Weite, Raum, Atem-Raum, viel Atem-Raum, der in Freiheit atmen lässt, ist eingekehrt. Unnötige Beengung, Ein- und Ausgrenzung, verkrampfte Verhaftungen haben sich ge-löst, auf-ge-löst und damit so manches mit-er-löst. Die Mauern sind gefallen. Die Kontur des Hauses ist geblieben. Man braucht kein eingezäuntes, eingegrenztes und eingrenzendes Haus mehr. Man will es auch gar nicht mehr … man/frau hat etwas viel, viel Kostbareres gefunden …

Mir scheint wichtig, dass das „Haus aus Wind“ als Metapher dasteht und nicht eingeengt wird auf ästhetische Fragen, auf Kunst, Künstlerhaus, Künstlerexistenz usw … Es soll offen sein für viele Deutungen und für existenzielle Befragungen. Eine wichtige Aufgabe für Kunst im öffentlichen Raum sehe ich darin, sich den Fragen der Zeit oder den ewig wiederkehrenden Themen des Lebens zu stellen und sich nicht in einer künstlerischen/ästhetischen Nabelschau zu verlieren.

Alois Neuhold

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